2 Monate vor unserem Start stellt sich ein nicht lösbares Problem in Form eines Unfalls ein, durch den die Quadrizepssehne meines linken Knies nach einem vollständigen Abriss refixiert werden muss. Mein Start ist nach diesem Ereignis unmöglich. Josef spricht kein Englisch. Ich begleite ihn als Organisator und Betreuer. - Fotoserie Race - Fotoserie Besichtigungen
Donnerstag, 02. Oktober 2003
Von unserem Hotel in London erkunden wir den kürzesten Weg zum Start und suchen die London Nautical School, in der am 04. Oktober ab 05:30 Uhr die Startunterlagen ausgegeben werden. Die Orientierung ist relativ problemlos, Hinweise auf die Laufveranstaltung suchen wir vergeblich.(4)
Freitag, 03. Oktober 2003
Den Ruhetag vor dem Lauf nutzen wir für einen Ausflug mit dem Zug nach Brighton. Trotz des schönen Wetters macht die Stadt auf uns keinen attraktiven Eindruck, so dass wir zufrieden sind, in London Quartier bezogen zu haben. Nach Kauf eines Stadtplans und einigen Recherchen finden wir die beschriebene Grünanlage, in der sich das Ziel befinden soll. Aber auch hier gibt es keine Hinweise auf die Veranstaltung. Unsere Zweifel an der Organisation wachsen. Mit der Meldebestätigung hat der Veranstalter eine recht ausführliche Streckenbeschreibung geschickt. Ist das vielleicht als Hinweis zu verstehen, dass die Strecke nicht oder nur wenig markiert und betreut ist? Besser nicht an das Risiko des Verlaufens denken, denn das Zeitfenster ist ohnehin knapp bemessen. Aus den Unterlagen wissen wir, dass alle 5 Meilen eine Entfernungsmarke aufgestellt ist. In diesem Bereich sind auch die Verpflegungsstellen zu erwarten, für die man Eigenverpflegung aufgeben kann. Am Abend laden wir dann noch einmal Kohlehydrate nach, organisieren die Eigenverpflegung und begeben uns frühzeitig zur Nachtruhe.
Samstag, 04. Oktober 2004 – Race Day
Um 04:00 Uhr meldet sich der Wecker. Wir bereiten uns ein Frühstück im Hotelzimmer und machen uns dann durch die Nacht auf den Weg zur London Nautical School. Es ist ziemlich kalt, vielleicht 5 Grad, aber sternenklar, d.h. das Wetter verspricht schön zu werden. Unterwegs passieren wir Big Ben, wo um 7:00 Uhr der Start sein soll und finden noch immer keine Spuren des Laufes.
An der London Nautical School queren wir einen Hof, an dessen Ende Licht zu erkennen ist und treten in eine Mehrzweckhalle ein. Ein kleines Organisationsteam empfängt uns. Na also, der Lauf findet statt!. Wir fühlen uns noch ziemlich einsam, aber nach und nach treffen die Teilnehmer und ihre Begleiter ein. Insgesamt 125 Starter weist die Teilnehmerliste aus, überwiegend Britten, aber auch 16 Overseas, darunter 3 Deutsche, von denen aber nur 2 antreten. Die meisten Teilnehmer werden von einem Team per Auto oder per Fahrrad betreut. Trotzdem haben die meisten Läufer auch Eigenverpflegung mitgebracht, die in vorbereitete Kisten abgestellt wird. Der Veranstalter setzt einen Bus ein, der das Gepäck nach Brighton transportiert und gegen eine Ticketgebühr von 9 GBP für den Rücktransfer nach London zur Verfügung steht. Ich erhalte die Zusage, dass mich der Bus nach Brighton mitnimmt.
Der Start
Zum Start an der Westminster Bridge sind ca. 15 Minuten Fußweg zu berücksichtigen, so dass wir uns gegen 06:30 Uhr auf den Weg machen. Und tatsächlich: in der beginnenden Morgendämmerung sammelt sich an der Westminster Bridge beim Big Ben ein kleines Häuflein von insgesamt 102 verwegenen Läufern samt einiger fotografierender oder filmender Begleiter sowie mehreren Marshals in gelben Westen. Beim Einsetzen des Geläuts der Glocken am Big Ben stellen sich die Marshals in die Kreuzung und halten den Verkehr an. Vereinbarungsgemäß gilt der erste Schlag des Sieben-Uhr-Schlages als Startschuss, bei dem sich das kleine Läuferfeld in Richtung Westminster Bridge in Bewegung setzt. Schnell verschwindet die Läufergruppe in der Dämmerung. Ich mache mich auf den Rückweg zur Nautical School, um den Bus nach Brighton nicht zu verpassen.
Auf der Strecke
Wir starten kurz vor 8 Uhr mit dem Bus in Richtung Brighton. Neben dem Busfahrer und mir fahren noch zwei „elder Ladies“ aus der Organisation mit sowie die Partnerin eines Läufers. Die Fahrt stellt sich bald als recht unterhaltsam heraus, weil die beiden Damen sich sehr um ein Gespräch mit mir bemühen und mich dabei nicht nur ausfragen, sondern auch viel über den Lauf, seine Organisation und die Strecke zu berichten wissen.
Auf den ersten 10 Meilen fahren wir auf der Laufstrecke stadtauswärts. Inzwischen ist es bereits hell geworden. Nach etwa 5 Meilen beginnen wir das Läuferfeld zu überholen. Bereits aus dem Bus ist zu erkennen, dass die Strecke gut markiert ist und alle kritischen Punkte von Marshals betreut werden. Nach ca. 10 Meilen parkt unser Bus in Croydon, so dass wir an der Strecke auf die Läufer warten können. An diesem Punkt führt der Norweger Ulf Jacobsen, der am Ende mit 7:28 Std. als 13. im Gesamteinlauf mehr als eine Stunde Rückstand auf den Ersten haben wird, aber die Klasse M50 gewinnt. Josef liegt hier ungefähr auf Platz 70. Er läuft in einer Vierergruppe und ruft mir zu, dass die Strecke bestens markiert und betreut ist, er aber das Gefühl habe, ein zu hohes Tempo zu gehen.
Hinter Croydon verlässt unser Bus die Laufstrecke, die über kleine Nebenstraßen und Wirtschaftswege geführt wird, während wir auf der Hauptstraße bleiben. Bei einem Zwischenstop nimmt die Gruppe mit dem Orga-Team ein ausgiebiges Frühstück ein.
Außerhalb von London hat der Lauf den Charakter eines Landschaftslaufes, der alle paar Meilen durch kleine Ortschaften führt. Die Strecke ist insgesamt nur leicht profiliert, hat aber in der 2. Hälfte einige kräftige Anstiege. Berüchtigt ist der „Ditchling Bacon“ als letzter Anstieg und höchster Punkt der Strecke zwischen 78 km und 80 km. Von dort geht es dann nur noch auf der Ditchling Road bergab Richtung Brighton mit zum Teil grandiosen Aussichten auf den Ort und die Steilküste am Ärmelkanal.
Im Ziel
Unser Bus trifft gegen 10:30 Uhr in Brighton ein. Am Rande der Grünanlage „The Level“ endet die Ditchling Road, wo inzwischen auch auf und neben einem Gehweg bei schönstem Wetter eine bescheidene Infrastruktur für das Ziel aufgebaut wird. Zufällig vorbeikommende Passanten fragen nach dem Ereignis, das nicht einmal in Brighton bekannt zu sein scheint.
Gegen 13:00 Uhr trifft die Bürgemeisterin von Brighton mit Entourage ein. Sie trägt ihre Amtskette und wird ankommende Läufer begrüßen.
Der Sieger, Brian Hennessey, ein lokaler Läufer, erreicht um 13:24 Uhr nach 6:24 Std. Laufzeit das Ziel, gefolgt von einem Südafrikaner und einem Spanier. Als Gesamtsechste und 1. Frau läuft die US-Amerikanerin Ellen McCurtin nach 7:02 Std. ein.
Nur wenige Zuschauer empfangen die Läufer. Brightons Bürgermeisterin begrüßt jeden Läufer mit Handschlag und dem Lob „well done“.
Die Streckenführung irritiert einige Läufer an der letzten Kreuzung, weil das Ziel kaum zu erkennen ist. Ich mache mich als Marshal nützlich und weise Läufern den Weg zum Ziel.
Josef träumt von einer Zeit unter 9 Stunden. Seit mehreren Stunden stehe ich auf meinem Posten, auf dem ich die Ditchling Road gut einsehen und das Ziel im Auge behalten kann. Endlich mache ich gegen 16:15 Uhr Josef aus. Im Vorbeilauf klatschen wir uns kurz ab. Josef macht einen guten Eindruck und läuft mit 9:17 Std. als 68. ins Ziel. Das Anfangstempo war offensichtlich doch zu hoch, so dass am Ende einige Körner fehlten, insbesondere am Anstieg zum Ditchling Bacon. Aber er gehört zu den 87 Finishern und ist voll des Lobes über den Lauf und die Organisation!
Nach dem Rennen
Für Umkleidung, Dusche und Siegerehrung sind Räumlichkeiten auf einer etwa 2 Meilen entfernten Pferderennbahn organisiert, wo auch Essen und Trinken zu moderaten Preisen angeboten werden. Für Läufer, die keine persönlichen motorisierten Betreuer haben, steht ein kostenloser Shuttle-Service per Taxi bereit. Läufer, Betreuer, Organisatoren und Bürgermeisterin finden sich auf dem Race Course zu einer stimmungsvollen Siegerehrung ein, die der Veranstaltung einen würdigen Abschluss verleiht. Der bisherige langjährige Organisator verabschiedet sich in der Abschlussveranstaltung aus Altersgründen aus der Organisation. Die Fortsetzung der Veranstaltung ist für die Zukunft unsicher.
Auf der Rückfahrt setzt uns der Bus in London-Westminster ab. Den Weg zum Hotel unterbrechen wir an zwei Pubs, um das Geschehen des Tages bei einigen Pints Bier noch einmal Revue passieren zu lassen. Ein schöner und ereignisreicher Tag liegt hinter uns. Unsere Erwartungen wurden im positiven Sinne weit übertroffen. Wir nehmen uns vor, im nächsten Jahr zurückzukehren, zumal mir der Lauf noch immer fehlt.
Anmerkungen
-
The history of the London to Brighton Race (engl.)
- Das Prädikat 'europäischer Comrades' basiert zunächst auf der historischen Tradition des Laufes. Das Rennen wird auf das Jahr 1837(!) zurückgeführt, nach einer Pause 1899 wieder aufgegriffen und findet seit 1951 ohne Unterbrechung statt. Weitere Parallelen zum Comrades resultieren aus der Streckenführung (Punkt zu Punkt vom Inland zur Küste), aus der Streckenlänge von ca. 90 km (bzw. 55 Meilen) sowie aus einer anspruchsvollen Sollzeit von 10 Stunden. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass der berühmte Südafrikaner Bruce Fordyce, neunfacher Comrades-Gewinner, in den Jahren 1981-1983 als Gewinner von London to Brighton ausgewiesen wird. Seine Bestzeit von 5:12 Stunden liegt nur 1 Minute über dem Streckenrekord aus dem Jahr 1972. Die Bestzeit der Frauen von 6:34 Std. stammt aus dem Jahr 1993.
- Im Unterschied zum Comrades mit mehr als 10.000 Teilnehmern handelt
es sich bei 'London to Brighton' um eine kleine Veranstaltung, die so
exklusiv ist, dass es zunächst relativ schwierig war, überhaupt an
Information zu kommen. Hilfreich waren in diesem Zusammenhang ein
Laufbericht von Horst Preisler, der das Rennen im Jahr 2001 erfolgreich
absolviert hat sowie eine relativ ungepflegte Webseite des britischen
Road Runners Club, die inzwischen unter ihrer ursprünglichen URL nicht mehr existiert.
Die Hürde der Informationsbeschaffung und der Anmeldung konnten wir schließlich erfolgreich bewältigen, so dass wir Flug und Hotel gebucht und das Training auf den Lauf ausgerichtet haben. Die Startgebühr von 22 GBP ist moderat, aber da die Zahlung ausschließlich per Auslandscheck möglich ist, fallen relativ hohe Gebühren für den Geldtransfer an. - Die Teilnahme an der Veranstaltung verlangt etwas Organisationstalent und auch englische Sprachkenntnisse, da in der Regel niemand deutsch spricht. Ortskundigkeit in London ist nicht unbedingt erforderlich, aber hilfreich.
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