Erstens durch Nachdenken, das ist das Edelste,
zweitens durch Nachahmen, das ist das Leichteste,
und drittens durch Erfahrung, das ist das Bitterste.
zweitens durch Nachahmen, das ist das Leichteste,
und drittens durch Erfahrung, das ist das Bitterste.
(Konfuzius)
In meiner Erinnerung verklärt sich mein erster Ultralauf von 1994 auf dem Rennsteig zu einer grandiosen Erfahrung. Getrieben vom Ehrgeiz bin ich 1995 aufgrund vieler Verletzungen nicht in Schwung gekommen. 1996 möchte ich es besser machen und endlich die Schwelle von 6 Stunden unterbieten, die auf dem Rennsteig die Spreu vom Weizen trennt. Für zusätzliche Motivation sorgt mein Lauffreund Josef, den ich für eine Teilnahme gewinnen konnte. Wir haben bereits einige gemeinsame Laufabenteuer überstanden und da wir ungefähr gleich stark sind, vergleichen wir uns gerne in freundschaftlicher Konkurrenz. Im Juli wird Josef am 24-Stundenlauf von Wörschach teilnehmen, weshalb der Rennsteiglauf für ihn eine gute Vorbereitung ist. Als Top-Ergebnis weist Josef 8:50 Std. über 100 km aus dem Jahr 1994 vor. Die Vorgabe rät zur Bescheidenheit.
Vorbereitung
Um unter 6 Stunden zu bleiben, muss ich netto ca. 10 Minuten schneller sein als im Jahr 1994, in dem ich mich auf die Marathondistanz fokussiert war. Da inzwischen auch hier die Chip-Technik Einzug gehalten hat, verschafft die Netto-Zeitmessung einen Vorteil von 1-2 Minuten gegenüber der Brutto-Zeit. Darauf möchte ich mich jedoch nicht alleine verlassen. Mein auf den Rennsteiglauf abgestimmtes Vorbereitungsprogramm zielt darauf ab, das Stehvermögen auf der Marathon-Überdistanz zu verbessern und das unrhythmische Laufen im profilierten Gelände zu trainieren. Ich erhöhe den Kilometerumfang sowie den Anteil langer Läufe und laufe mehrfach im Training auf hügeligen Waldstrecken bis zu 55 km. Meine Formentwicklung verläuft vor dem Wettkampf vielversprechend.
Vor dem Lauf
Als Unterkunft haben wir in diesem Jahr die Pension Waldfrieden in einer ruhigen Lage von Stützerbach gewählt, ein äußerst angenehmes Haus, dem wir bis heute treu sind. Josef wohnt im Gasthof Eintracht, wo am Vorabend unsere logistische Vorbesprechung stattfindet. Gisela startet auch in diesem Jahr wieder beim Halbmarathon ab Oberhof und möchte auf Zeit laufen. Da der Halbmarathon später startet, kann sie uns vorher zum Start bei Eisenach bringen und anschließend das Auto in Oberhof abstellen, wo wir es am nächsten Tag abholen werden.
Auf der Strecke
(Im Post über den Rennsteiglauf des Jahres 1999 ist die Strecke ausführlich beschrieben (Rennsteiglauf 1999), weshalb sich dieser Post auf emotionale Höhepunkte beschränkt.)
Das Streckenprofil habe ich noch gut in Erinnerung und kenne daher auch die Knackpunkte. Den Anstieg zum "Großen Inselsberg" möchte ich in diesem Jahr etwas langsamer nehmen als 1994 und laufe darum nach dem Start betont defensiv los. Der Kontakt zu Josef ist bereits vor dem Start im Gedränge vor den DIXI-Toiletten verlorengegangen. Statt dessen treffe ich Helmut und Ingeborg Urbach, Albert Buntenbroich und einige weitere Läufer des GSV Porz.
Nach etwas mehr als 10 km sehe ich vor mir auf einem steileren Abschnitt Josef gehend. Ich laufe zu ihm auf und bleibe zunächt bei ihm. Während mir dieser Anstieg relativ wenig Mühe bereitet, zeigt sich Josef deutlich beeindruckt. Unsere Tempi harmonieren nicht. "Lauf mal", fordert mich Josef auf. Ich ziehe weiter und weiß ihn von nun an im Nacken. Auf dem "Großen Inselsberg" ist von Josef weit und breit nichts zu sehen. Gewöhnlich knallt Josef Gefällstrecken gnadenlos runter, aber auf der Schussstrecke nach dem "Großen Inselsberg" fliegt er heute nicht an mir vorbei. Um die Körner gut einzuteilen, nehme ich steile Rampen heute gehend.
Ab der Hälfte der Strecke esse ich hin und wieder ein Stück Banane oder ein Stück von einem Energieriegel. Haferschleim lasse ich auch heute aus. Damit habe ich keine Erfahrung und meide darum Experimente. Vor dem Lauf habe ich für markante Punkte Zeiten notiert, die ich nicht überschreiten darf, um die Chance auf eine Endzeit unter 6 Stunden zu erhalten. Alle Durchgangszeiten kann ich unterbieten und auf dem Weg zum Grenzadler sogar ein kleines Zeitpolster für den letzten Abschnitt ab Oberhof aufbauen. Allerdings setzen jetzt immer häufiger kräftige Regenschauer ein, die das Geläuf schwer machen.
Im Raum Oberhof merke ich deutlich, wie meine Kräfte nachlassen. "Jetzt laufe ich in eine Krise", denke ich mir, erwarte jedoch aufgrund meiner gezielten Vorbereitung einen diskreteren Verlauf und eine schnellere Überwindung als 1994. "Planung ersetzt den Zufall durch Irrtum", besagt ein bekannter Aphorismus, der Albert Einstein zugeschrieben wird und sich auch heute wieder einmal bewahrheitet. Auf dem Anstieg zum "Großen Beerberg" über die "Suhler Ausspanne" scheint die Energiezufuhr unterbrochen zu sein. An Laufen kann ich nicht einmal mehr denken und bin statt dessen froh, dass meine Beine mich überhaupt noch tragen und sogar eine Vorwärtsbewegung durchführen. Die Hoffnung auf eine schnelle Erholung erweist sich ebenfalls als Wunschdenken. Fast 5 km wandere ich, bis mir jenseits des "Großen Beerbergs" wieder ein vorsichtiger Laufschritt möglich wird. Der Traum von der Endzeit unter 6 Stunden ist in wenigen Minuten wie eine Seifenblase zerplatzt. Ich rechne damit, dass Josef mich nicht nur bald einholt und überholt, sondern stelle mir bereits vor, wie Josef in den nächsten Jahren bei jeder Gelegenheit begeistert diese Szene schildern. "Selbst Schuld, Hochmut kommt vor dem Fall", geht mir durch den Kopf. "Etwas mehr Demut schadet nicht!", sagt mir eine innere Stimme.
Ich durchleide eine fast exakte Kopie des Einbruchs von 1994, für die ich im Unterschied zu 1994 heute keine Erklärung finde. Andererseits nährt die Duplizität der Ereignisse eine schwache Hoffnung auf ein Come Back. Und tatsächlich, an der Schmücke fühle ich mich schon wieder viel besser. Nun geht es fast nur noch bergab auf leicht zu laufendem Untergrund, was mich auch mental erleichtert. Das Tempo lässt sich wieder steigern, ich bin zurück! Bergabpassagen laufe auch ich jetzt ohne Rücksicht auf Verluste. Ich bin auf der Überholspar und hole von den vor mir liegenden Läufern etliche wieder ein, was meinen Kampfgeist weiter erhöht. Auf den letzten Kilometern schalte ich den Turbo ein und biege mit meinem Maximaltempo in das Sportgelände des Zielbereichs ein. Auf der kurzen Zielgeraden erkenne ich bereits Gisela, die an der Zeitnahme des Ziels mit dem Fotoapparat in der Hand auf mich wartet. 6:05:42 ist meine Netto-Endzeit, mit der ich Platz 229 von 1.539 Finishern belege. Wo ich im Hinblick auf eine Endzeit unter 6 Stunden auf der Strecke 6 Minuten oder mehr liegengelassen habe, weiß ich ganz genau. Warum ich diese Minuten dort verloren habe, weiß ich nicht und werde es auch nie in Erfahrung bringen können. Gegenüber 1994 bin ich netto nur ca. 5 Minuten schneller. Enttäuschend!
Gisela hat den Halbmarathon in 1:42:16 Std. absolviert und wird Dritte ihrer Altersklasse sowie 49. von insgesamt 577 Frauen. Chapeau!
Helmut Urbach erzielt eine Endzeit, die ich auch gerne gelaufen wäre: 5:49 Std. Respekt! Ingeborg bleibt mit 7:01 Std. kanpp über 7 Stunden. Albert läuft 5:46 Std.
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